Es ist der 24. Mai 2015, die Uhr schlägt 4. Zusammen mit Johannes und Fiego befinde ich mich auf dem Leuven Innovation Beerfestival. Genauer gesagt stehen wir am Stand von Goose Island aus Chicago. Die Bierliste klingt super, die Brauerei hat größtenteils belgisch inspiriertes Gebräu dabei. Aber ein bestimmtes fehlt und es wurmt mich schon seit Wochen, dass dieses nicht mit angekündigt wurde: Bourbon County Brand Stout. DAS legendäre und 1992 erstmals gebraute Imperial Stout. Damals war die Bourbonfass-Lagerung eine wirkliche Innovation und sollte noch viele Brauer in ihren Ideen beeinflussen. Es ist das Aushängeschild der Brauerei und vielleicht auch noch darüber hinaus. Ich frage also den sympathischen Brauer Daryl Hoedtke, wieso es kein Bourbon County gibt – auch wenn ich um die relative Knappheit dieses Bieres weiß und niemandem einen Vorwurf machen möchte. Dieser reagiert mit einem Grinsen und zeigt mit seinem Finger unter die Theke, was mir wiederum ein Grinsen abringt. Mehrere Flaschen Bourbon County Stout und sogar ein paar der noch selteneren Variante Vanilla Rye stehen dort, beide Jahrgang 2014. „At five o’clock I’ll open a few of these“, sagt er nur. Klingt nach einem Deal.
Die Uhr schlägt 5. Mehrere Bierfreunde, die ebenfalls Wind von der Sache bekommen haben, stehen mit uns am Stand und warten, bis es endlich losgeht. Hoedtke hält sein Wort, öffnet die Flaschen pünktlich und beginnt mit dem Ausschenken.
Bourbon County Brand Stout (2014)
Jetzt habe ich es in den Händen und schaue es mir erst einmal genau an. Nun ja, es ist ein Imperial Stout mit 13,8%. Demzufolge gibt es an Schaum wenig zu sehen, die mattschwarze Farbe lässt aber auf Großes hoffen. Dann halte ich meine Nase über das kleine Glas und weiß binnen Bruchteilen von Sekunden, dass hier überhaupt nichts mehr schief gehen kann: Das Aroma ist schlichtweg atemberaubend lecker und selbst im Bereich Imperial Stout nur sehr selten in dieser Eindringlichkeit vorzufinden. Massive Bourbonnoten, Vanille, Eiche, Kakao, Bitterschokolade und süße Karamelltöne ergeben ein komplexes, gigantisch rundes Gesamtbild ab. Nur ganz leicht röstig, etwas Kaffee ist auch noch drin. Die Vorfreude ist zu groß, ich probiere es. Es ist phänomenal. Ein Dessertbier erster Güte, das zwischen süßen Schokoladennoten, dunklen Früchten, filigranen Holzaromen, Bourbon und sahnigem Kakao oszilliert. Unfassbar und unbeschreiblich. Mit den eher röstigen Imperial Stouts der klassischen Sorte hat das hier gar nichts gemein. Es ist schlichtweg in einer anderen Liga. Und dann sprechen wir noch nicht von dem cremigen Mundgefühl, das gleichermaßen leicht wie dekadent rüberkommt. Außer Firestone Walkers Parabola habe ich zu diesem Zeitpunkt nichts im Ansatz vergleichbares getrunken. Wow.
Bourbon County Brand Stout Vanilla Rye (2014)
Und dass dann – nur wenige Minuten später – ein Bier daherkommt, das das soeben Erlebte zu toppen vermag, habe ich mir nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können. Ich habe meine Rechnung ohne Bourbon County Stout Vanilla Rye gemacht. Basieren tut dieses auf der normalen Version, in Rye Whiskey Fässern gelagert und mit Vanilleschoten aus Mexiko und Madagaskar verfeinert (13,6 % Alkohol). Optisch nicht vom Original zu unterscheiden, zeigt der erste Geruchseindruck das Gegenteil. Geradezu psychedelische Vanillenoten donnern mir entgegen und lassen mich fassungslos innehalten. Klar, subtil geht anders und im Aroma ist das Original etwas komplexer und weniger süß, aber – um Himmels Willen – wie kommen diese tonnenschweren Vanillearomen in diese Flasche rein? So umwerfend lecker kann kein Bier riechen! Kann es doch. Irgendwo versteckt sich auch etwas Whiskey und Eiche. Insgesamt wirkt es wie eine Crème brûlée auf Steroiden. Betörend und unvergesslich. Alleine abends zuhause wäre dies bereits der Moment, um Freudentränen zu vergießen. Dann koste ich und kann mir ein verblüfftes Lachen nicht verkneifen. Es ist so surreal gut, dass eine andere Reaktion unmöglich erscheint. Was in der Nase an Komplexität eventuell gefehlt hat, kommt jetzt meterdick zur Geltung: Vanille, Karamell, Toffee, Kaffee, etwas Mandeln, dunkle Früchte und eine perfekte Mischung aus Vollmilch-, Bitter-, und weißer Schokolade umspielen den Gaumen. Im Kopf versammeln sich Bilder von langsam schmelzendem Vanilleeis, das sich in einen saftigen Schokokuchen ergießt. Dass irgendein Getränk solche Assoziationen bewirken kann, ist beachtlich. Das Mundgefühl ist abermals gigantisch und nicht zu verbessern. Im Abgang leicht wärmend, aber keineswegs alkoholisch, sondern verblüffend gut trinkbar. Wahnsinn.
Ich neige selten zu Superlativen, aber in den letzten zehn Minuten habe ich zwei meiner Top3-Biere bisher getrunken, mit Vanilla Rye als unangefochtenem König an der Spitze. Man verzeihe mir die überbordend pathetische Sprache, aber: Was für monumental gute Imperial Stouts! Solche Momente gibt es nur sehr selten und da wundert es nicht, dass wir beide Biere noch jeweils dreimal nachbestellen. Auch das ein absolutes Festivalnovum für mich. Glückselig und nach tausend Danksagungen an Daryl verlassen wir schlussendlich den Goose Island Stand. Die kleine Reise zu diesem Festival hat sich alleine wegen dieser Biere gelohnt.