Etwas sollte anders werden an diesem erneuten Verkostungsabend der Hopfenjünger. Blindverkostungen haben ja mittlerweile Tradition in unserem Kreis. Lobeshymnen auf diese einzig wahre und ehrlichste Form des Verkostens haben wir hier bereits mehrfach gesungen. Aber dass unser Marco diesmal zwei heilige Flaschen aus Westvleteren unter die Alufolie gepackt hat, damit hatte niemand gerechnet. Selbst zum Flaschenöffnen ist er in einen anderen Raum gegangen. Denn neben dem typischen Glaskragen verrät eigentlich nur der Kronkorken des Westvleteren 12, um welches Bier es sich handelt. Etiketten sucht man auf dem sagenumwobenstem Bier des alten Kontinents vergeblich.
Für alle, die nicht wissen, was es mit dem Westvleteren 12 auf sich hat: Die Klosterbiere der Sint Sixtus Abtei in Vleteren, Flandern gehören zu den Trappistenbieren. Es gibt genaue Regelungen, um sich Trappistenbier nennen zu dürfen, u.a. muss das Bier von Mönchen in Klöstern oder deren unmittelbarer Nähe gebraut werden und die Brauerei-Einnahmen müssen sozialen Zwecken zugute kommen.
Das Besondere an den Westvleteren-Bieren ist allerdings: Eigentlich muss man dorthin reisen, sich zu den seltenen Verkaufstagen telefonisch mit seinem Autokennzeichen registrieren. Und dann darf man bis zu zwei Holzkisten á 24 Flaschen gegen das Versprechen erwerben, diese nicht weiter zu verkaufen. Trotzdem bieten auch diverse Bier-Spezialitäten-Läden das exklusive Gebräu an, dort allerdings schon mal bis zu 18 EUR je 0,33 Liter-Flasche.
Lange Zeit war es laut RateBeer.com das bestbewertete Bier der Welt. Diese oben beschriebene Exklusivität macht wohl den größten Teil des Reizes aus. Da wir bisher dieses Bier noch nicht getrunken hatten, wussten wir nicht, was es mit dem Geschmack auf sich hat. Doch wir vermuteten, dass es eigentlich gar nicht so gut sein kann, wie es aufgrund seiner Exklusivität in Kreisen der Bierliebhaber gehandelt wird.
Nun aber hatten wir es im Glas – ohne es zu wissen! Marcos diabolisches Grinsen machte uns nicht weiter skeptisch, er ist halt ein Teufelskerl. Geruch und die ersten Schlucke allerdings brachten uns schon stilmäßig auf die richtige Fährte. Belgisches Hefearoma, Kohlensäure, Alkohol. Tripel oder Quad? Ein wuchtiger Original-Belgier oder ein „nachgemachter“ Belgier á la Lost Abbey, USA? Dass wir hier das „heilige“ Westvleteren 12 in unseren Gläsern schwenkten, wagten wir nicht zu erahnen. Andererseits aber auch kein Wunder. Keiner von uns hatte es bisher je getrunken.
Wie schmeckte es uns? Gut, ja. Weltklasse, nein. Die Runde bewertete es zwischen 3,5 und 4. Wenn wir doch nur gewusst hätten, was wir im Glas haben – wie wären dann die Noten ausgefallen? Aber hier gilt wieder meine Maxime: Es lässt sich immer schlau daherreden, wenn man weiß, was man im Glas hat!
Ich persönlich komme am Ende doch zu einer Top-Note: „Mamas Weihnachtslikörfrüchte, Feigen, Pflaume, Kohlensäure, Alkohol“ – so lauteten meine Notizen. Kohlensäure und Alkohol waren deutlich und stiltypisch zu vernehmen, ohne aber das Aroma zu erschlagen. Aber besonders die Assoziation von Mamas Weihnachtslikörfrüchten, die mein Vater nach dem Abfüllen des selbstgemachten Weihnachtslikörs die nächsten Monate sukzessive auf seinem Vanilleeis wegfutterte, haben es mir angetan. Ich werde mich auf den Weg machen nach Flandern, denn dieses Bier will ich nochmal trinken – und dann auch wissen, was ich im Glas habe – und dann, ja dann kann ich auch noch schlauer daherreden.