Um eines vorweg zu nehmen: In diesen Tagen passierte Dramatisches in Deutschland. Menschen kamen ums Leben, Menschen haben ihre Existenz, ihr ganzes Hab und Gut verloren. Dieser Bericht handelt zwar mitten aus einem der aktuellen betroffenen Hochwassergebiete, aber mir, dem Autor dieses Artikels, Hopfenjünger Johannes ist „nur“ der Keller vollgelaufen. Das bedeutet zwar einerseits materiellen Schaden, aber eben kein existenzieller Verlust, den in diesen Zeiten sehr viele Menschen zu beklagen haben.
Der vollgelaufene Keller bedeutet aber eben auch: Mein Bierkeller mit all seinen über Jahre gesammelten Schätzen ist abgesoffen. Es war nicht die Mosel, die sich meine Cantillons, Westvleterens und alle anderen bierigen Vorräte mal von Nahem anschauen wollte. Es war die aus der Eifel kommende Kyll, ein sonst friedlicher Nebenfluss der Mosel, der über die Ufer trat und Trier-Ehrang wie eine Badewanne volllaufen ließ. Damit hatte niemand gerechnet.
Bierkeller? Was soll das?
Während sich ein normaler Biertrinker fragt: Bierkeller? Was soll das? Ist Bier überhaupt so lange haltbar? Dagegen weiß der bierverrückte Nerd: Ohja, alkoholstarke Trappistenbiere oder Imperial Stouts werden im Laufe der Jahre geiler, ebenso Sauerbierspezialitäten! Deswegen besitzt eigentlich jeder Bierliebhaber auch einen stattlichen Bierkeller, vorausgesetzt, es ist überhaupt ein Keller vorhanden. Das Bier will immerhin dunkel und kühl gelagert sein. Seit 2020 besitze ich endlich ein eigenes Haus, mit einem eigenen Keller. Perfekt, um endlich meine Bierschätze standesgemäß zu lagern und erweitern.
Lange gelagerte Raritäten
Über die Jahre habe ich einiges sammeln können. Als großer Belgien-Fan – und wie könnte man als Bier-Enthusiast Belgien nicht lieben? – habe ich mittlerweile eine stolze Sammlung der berühmten Cantillon-Brauerei aus Brüssel. Es sind die berühmtesten Sauerbiere der Welt, die Cantillon herstellt. Neben den stets vorrätigen Krieks und Geuzes konnte ich stolzerweise eben auch Klassiker wie Fou’Foune oder absolute Raritäten wie Brabantiae, Lambic d’Aunis, um nur einige zu nennen, zusammen tragen. Um es kurz zu sagen: Absolute Besonderheiten, die man eben auch nicht nachkaufen kann. Wer zuletzt mal an einem Online-Verkauf von Cantillon teilgenommen hat, weiß, wie schwer es mittlerweile geworden ist, überhaupt an solche Schätze ran zu kommen. Craftbier-Nerds aus der ganzen Welt jagen diesen Bieren nach.
Hinzu kommen in der Fraktion Sauerbier 3 Fonteinen, Tilquin oder Boon. Eine Kiste Boon Mariage Parfait stellt die Grundlage zu einem besonderen Ritual dar. Da meine liebe Frau Claudia ebenfalls saures Bier liebt, trinken wir jedes Jahr zum Hochzeitstag eines dieser Biere passend eben Mariage Parfait genannt.
Daneben gibt es natürlich noch meine schon fast legendäre Sammlung an Westvleteren 12. Ein Mythos von einem Bier, man kann es regulär nur ab Kloster in Westflandern kaufen, was ich zumindest 2016, 2017 und 2018 getan habe. Neben einzelnen anderen raren Flaschen wird die illustre Sammlung durch ein paar Kisten deutscher Bockbiere vervollständigt. Auch ein Ayinger Celebrator kann ein paar Jahre gelagert mal richtig spannend werden, ebenso Schneider Aventinus. Und meine Freunde von der Bierothek wissen, wie lange ich gejammert habe, bis sie mir aus Mitleid doch ein paar Flaschen des Mönchsambacher Maibocks zugeschickt haben.
Versunken im braunen Schlamm
All das versinkt nun am 16. Juli 2021 in einer braunen schlammigen heizölverseuchten Brühe.
Am 17. Juli ist klar: Das Schlimmste ist verhindert, unsere Wohnung im Erdgeschoss ist trocken geblieben, der Keller hingegen stand bis oben voll. Der Keller war keiner Strömung ausgesetzt, trotzdem, so vermutete ich, seien aufgrund der stundenlangen „Nasslagerung“ alle Etiketten ab und selbst wenn die Biere alle noch da sind: Unetikettiert würde die Freude an den Schätzen kleiner ausfallen, sofern die Flaschen überhaupt noch heil sind.
Einen beherzter Tritt gegen das Kellerfenster lässt einen ersten Blick zu. Alle Biere scheinen an Ort und Stelle zu sein. Alle Kartons sind zwar aufgeweicht, zu Bruch scheint hingegen nichts gegangen zu sein. Gegen Mittag war der Keller wieder halb leer und ich konnte den Keller betreten, um mit dem Abpumpen zu beginnen. Alle Schränke mit allen Büchern, Fotoalben, Winterjacken, Brettspielen usw. trieben chaotisch umher, Waschmaschine und Tiefkühlschrank werden hinüber sein, die verschmutzten Bierflaschen standen heil an Ort und Stelle.
Glück im großen Unglück
„Hast du keine anderen Sorgen?“ hörte ich nachmittags dann öfter, denn während alle Menschen aus Trier-Ehrang sich um ihr wertvollstes Hab und Gut kümmerten, tat ich eben dieses: Nur saß ich dabei auf dem Hof und spülte jede Flasche einzeln mit kaltem Wasser ab und versuchte jedes Etikett sorgsam an der Flasche fixiert zu halten. Was ist schon ein kaputter Wäschetrockner, wenn man eine heilgebliebene Pulle 3 Fonteinen Hommage oder ein gerettetes Firestone Sucaba in den Händen halten kann?
Meine Familie und ich, wir hatten Glück, im Gegensatz zu vielen anderen Menschen. Und die Freude an meinem geretteten Bier und an dem Glück, dass nicht mehr als der Keller geflutet worden sind, wiegt größer als der Schmerz über den entstandenen Verlust. Und wenn wir in Zukunft eine Flasche Cantillon öffnen, werden wir deren Wert noch besser zu schätzen wissen.